Herzlich willkommen
Diese Internetseite wurde im November 2012 als interaktiver Blog eingerichtet und nun in eine Webseite umgewandelt. Die Auseinandersetzungen der letzten fünf Monate sind weiter nachzulesen. Dieser Schritt hat Enttäuschungen ausgelöst. So will ich nochmals ein Antwortfenster öffnen. mehr
Als Mitherausgeber des Buches „Unheilige Macht – Der Jesuitenorden und die Missbrauchskrise“ wünschte ich mir eine Plattform, auf der über diesen Versuch von uns Jesuiten gesprochen werden kann, uns der offenen Wunde in unserer Geschichte zu nähern. Besonders in Bonn gab es viele Vorbehalte gegen die Veröffentlichung, weil die Rechtfertigung eigenen Verhaltens befürchtet wurde. Schnell wurde aber klar, Schönfärberei war nicht gewollt.
Ein deutliches Zeichen war sofort sichtbar, alle Beiträge auf dem Blog beziehen sich auf die Situation am Aloisiuskolleg in Bad Godesberg. Der sexuelle Missbrauch hatte dort eine lange Geschichte. Viele Opfer wurden fotografiert. Diese Fotos an den Wänden des Internats hatten viele gesehen. So gab es viele Mitwissende im Orden, bei den Eltern und in der Stadt. Gleichzeitig waren die „Täter“ angesehene Personen in Bonn.
Die Betroffenen in Bonn-Bad Godesberg suchten vergeblich das Gespräch mit den damals Verantwortlichen. Im Hintergrund des Blogs konnte ein Briefwechsel über 100 Fragen angeregt werden zwischen der Opfergruppe Eckiger Tisch und dem Provinzial. Der Briefwechsel löste einige Widerstände aus. Die Auseinandersetzung ist nicht abgeschlossen; die Briefe sollen auf dem Blog noch nicht dokumentiert werden.
Die vertraulichen Gespräche über Einzelfragen mit dem Rektor des Aloisiuskollegs verliefen recht still einvernehmlich. Sie wurden aber nicht verschriftlicht.
Außerdem wurden über den Blog einzelne Begegnungen angestoßen.
Das mühsame gegenseitige Wahrnehmen geht weiter. Schmerzpunkte sind benannt. Der Eckige Tisch sucht das Gespräch mit den Verantwortlichen. Die nächsten Schritte sind benannt.
Eine zweite Opfergruppe entschied sich für den gerichtlichen Weg. Viele Abwägungen sind auf dem Blog sichtbar geworden. Nicht überraschend kamen aber diese Gespräche jeweils schnell an ein Ende oder landeten vor Gericht. Die Leerstellen auf dem Blog nahmen zu. Für eine solche Auseinandersetzung ist das Medium Blog wohl nicht geeignet oder es müssten geschützte Räume für juristische Fragen, für den Austausch von Betroffenen, usw. eingerichtet werden. Diese an sich sinnvolle Umstrukturierung habe ich verweigert, weil ich als Jesuit die notwendigen Zulassungskriterien nicht konsequent kontrollieren wollte, die zum Schutz der sich öffnenden Personen nötig sind. Schon so war ich oft dem unwahren Vorwurf ausgesetzt, ich würde die mir nicht genehmen Meinungen im Blog löschen.
Unterdessen wurden andere und ich auch mehrfach in gerichtlich vorgebrachte Vorwürfe verwickelt, durch die mir Meinungsäußerungen und gewisse Tatsachenbehauptungen versagt wurden. Nie hatte ich die Absicht Ehrenrühriges zu verbreiten, was mir aber vorgeworfen wird.
In dieser konfliktreichen Zeit träumte ich davon, dass Leute vom Eckigen Tisch eine Vertrauensperson finden, die einen Blog mit strengen Kriterien einrichtet. Dieser Schritt war aber von ihrer Seite aus nicht sinnvoll.
Über die vielen Beiträge auf dem Blog, per Mail oder im direkten Gespräch habe ich mich gefreut, egal ob ich die vorgebrachten Meinungen teile oder nicht. Ich danke allen Engagierten hiermit ausdrücklich. Das gilt auch für die Menschen, die hinter einem Kunstnamen vielleicht das eine oder andere Mal eher einen Versuchsballon steigen ließen und sich nicht öffentlich zu der vorgebrachten Meinung stellen mochten.
Mir ist es wichtig, mein Gesicht zu zeigen. Anderen ist dies auf Grund ihrer Umwelt nicht möglich. Dieses auferlegte Schweigen schmerzt. Auch meinen Mitbrüdern, die sich an der Diskussion auf dem Blog beteiligten und oft auch den direkten Kontakt mit Betroffenen suchten, danke ich ausdrücklich. Über diese Unterstützung habe ich mich sehr gefreut.
In der Osterwoche 2013 auf einem großen Treffen der Jesuiten aus Deutschland, Dänemark und Schweden wurde das Thema sexueller Missbrauch Minderjähriger in Anwesenheit des Generaloberen Adolfo Nicolás aus Rom mit einem breiteren Erfahrungshintergrund angesprochen. Die Diskussion auf dem Blog befruchtete den Austausch. Etwa 170 Mitbrüder waren anwesend. Drei von uns hatten sich auf diese Situation vorbereitet. Bei ihrem Beiträgen war der Schmerz zu spüren, der beim Lesen der 100 Fragen oder der in vielen Gesprächen im Zusammenhang mit dem Bintig-Bericht aufkam. Auch in anderen Arbeitsfeldern tauchen ähnliche Machtstrukturen auf, die nichts Gutes ahnen lassen. Sie wurden mit dem Thema hier in Verbindung gebracht. Dann ging der offene Erfahrungsaustausch aller Anwesenden weiter. Ein ehemaligen Provinzial hatte sich im Januar darauf vorbereitet Mitglieder des Eckigen Tisches zu treffen. Aber er musste trotz seines guten Willens umkehren. Die Zeit war noch nicht reif. Diese schmerzhafte Erfahrung machen nicht nur Opfer, wenn sie auf andere zugehen und sprechen wollen sondern auch andere erst einmal ins erschrockene Schweigen Zurückgezogene.
Niemand sprach distanziert über den notwendigen Weg, den Opfern der Verbrechen an Minderjährigen zu zuhören, nach Konsequenzen zu suchen und im Austausch zu bleiben, bis in der verletzten Beziehung Frieden einkehrt. Die Enttäuschung über die häufig nur kleinen Schritte, die möglich erscheinen, und der lange Atem, der nötig ist, war für mich auch zu spüren.
Im Durchschnitt ist in einer solchen Versammlung von Männern damit zu rechnen, dass 25 von ihnen selbst Opfer von sexuellen Missbrauch sind (bei Frauen wären es wohl 45). Sie werden oft übersehen. Dabei ist ihre Stimme so wichtig, um nicht in ein schwarz-weiß-Denken zu verfallen. Gerade steht in einer Untersuchung der Europäischen Union, dass in Europa mindestens jeder fünfte Einwohner in der Jugend sexuell mißbraucht wurde. Im Durchschnitt jechnen sie bei jedem Opfer mit zwei Mitwissenden.
Am nächsten Tag ging P. Adolfo Nicolás auf viele Aussagen von uns ein und bestätigte deutlich den begonnenen Weg und ermutigte die Anwesenden weiter zu gehen.
Später sagte einer bei der Abschlussreflexion, dass er mit dem Unmut gekommen sei, dass wieder dieses Thema dran war; aber jetzt weiß er, dass es so gut ist.
Wir stehen weiter am Anfang der Aufarbeitung, aber jetzt sind wir Jesuiten hoffentlich wieder einen Schritt weiter gegangen. Die Freude war zu spüren, dass wir mit einem Fuß – auch durch das Zuhören von P. Adolfo Nicolás – in der Wirklichkeit angekommen sind. Dieser Prozess soll weiter gehen und auch auf jene überspringen, die noch zögern oder zuhause geblieben sind.
Das Schließen der Eingabefenster auf dem Blog soll kein gegenteiliges Zeichen sein sondern den Weg frei machen, mit breiter Beteiligung dieses große gesellschaftliche Thema anzupacken. Welche Mittel angemessen sind wird sich hoffentlich zeigen.
Christian Herwartz
Ich will ausdrücklich auf die Seite des Eckigen Tisches verweisen, wo weiter ein Kontakt mit den offenen Fragen in Bonn-Bad Godesberg möglich ist. Auch die weiteren Links auf der dieser Seite sind eine Chance an den Fragen dran zu bleiben. Auch ich will weiter aufmerksam sein und den einen oder anderen Artikel neu einstellen.
Das Engagement in andern Feldern will ich nicht vernachlässigen:
Menschen die im Flughafenverfahren oder in der Abschiebehaft festhängen,
Menschen, die in den Exerzitien auf der Straße eine Reinigung ihrer inneren Ausrichtung suchen,
Menschen die mit Mitbürgern aus andern Religionen und Weltanschauungen zusammen beten wollen.
……………………….
Im Mittelpunkt dieses Blogs steht das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von anvertrauten Kindern in den von Jesuiten verantworteten Institutionen und das Verdecken dieser Verbrechen. Es sollen alle von diesen Verbrechen betroffene zu Wort kommen: Opfer, Mitwisser, Jesuiten und alle, die zu diesem Thema etwas beitragen oder zu dem Buch Unheilige Macht Stellung nehmen wollen.
Die Verbrechen haben eine tiefe Furche des Unrechts gezogen, in der sich neues Unrecht sammelt. Dazu gehört die Behinderung des Nachfragens, also vor allem das Schweigen der Mitwisser.
(Viele Täter sind gestorben oder leben nicht mehr in der Gemeinschaft der Jesuiten.)
Ich habe bisher aus der Diskussion besonders gelernt, dass die Wahrheit, der ich mich nähern möchte, nicht etwas Starres ist, die man auf einem Stein eingemeißelt werden kann, sondern sie ist etwas Lebendiges, immer neu zu Entdeckendes. Sie ist ein Weg, der Schritt für Schritt gegangen wird. Jeder Schritt braucht die Hoffnung auf das Ziel. In jeden ehrlichen Schritt dorthin, der dem Schmerz der Verwundung nicht ausweicht, können wir Heilung und Vergebung erleben. Ich habe hier Freunde neu entdeckt. Danke.
Statistik: Am 7.1.13 wurde dieser Blog (verkehrsreichster Tag) 1667 Mal von 120 Besuchern, am 10.1.13 1116 Mal von 153 Besuchern aufgerufen.
Am 11.1.13 besuchten nur 103 Besucher den Blog, riefen 496 Seiten auf und gaben nur einen Kommentar ab. Am 14.1. waren es noch 71 Besucher, die 321 Seiten aufriefen und keinen Kommentar schrieben. Dann stieg das Interesse wieder an: 1.2. 153 Besucher mit 791 Aufrufen. Am 13. 3. war ein besonderer Tag: 346 Besucher mit 542 gezielten Aufrufen.
Das Buch Unheilige Macht – Der Jesuitenorden und die Missbrauchskrise wurde in den ersten zwei Monaten nach Erscheinen über 900 Mal verkauft.
Aus der alten Einladungsseite (bis zum 11.1.13)
In der Mitte des Jesuitenordens sind Verbrechen an anvertrauten Kindern und Jugendlichen begangen worden. Manche haben es gesehen und weg geschaut.
2010 meldeten sich Opfer dieses Machtmissbrauches und die Verantwortlichen hörten ihnen endlich zu.
Im Laufe der letzten drei Jahre sahen wenigstens einige von uns mit Erschrecken die Folgen dieser Verbrechen. Sie suchten nach den Ursachen und fragten nach den sie fördernden Strukturen? Welche offenen Fragen müssen wir weiter verfolgen?
Einige Reflexionen sind im Buch festgehalten. Daran wollen wir die Leser und Leserinnen teilhaben lassen. Der Prozess des Hinsehens mitten in der Gemeinschaft, in der Täter und Opfer zusammen leben, geht weiter.
Wir freuen uns über Kritik und Ermutigungen. Nutzen Sie bitte den Blog, damit der Suchprozess weitergeht, der mit Unterstützung der Presse begann. Seit einiger Zeit ist es um diesen andauernden Skandal still geworden. Wir wissen von vielen Frauen (etwa jede dritte oder vierte) und Männern (etwa jeder siebte) in Deutschland, die tiefgreifende sexuelle Verletzungen in ihrer Kindheit erlitten und deren Leben dauerhaft beschädigt ist. Dieser Wirklichkeit wollen wir uns stellen, für unsere Schuld in der Wolke des Verbrechens einstehen und auf einen Weg der Versöhnung hoffen.
Christian Herwartz
Stuttgart, 29. November 2012
Verlagsmitteilung
Welche Fakten hat die Aufklärung zu Tage gebracht? Welche Strukturen haben den Missbrauch, die Taubheit, das Vertuschen und das Schweigen begünstigt? Welche drängenden Fragen stellt der Skandal an den Orden, die Kirche und die Gesellschaft? Der Verlag W. Kohlhammer liefert heute den Sammelband »Unheilige Macht – Der Jesuitenorden und die Missbrauchs-krise« aus.
Immer wieder hatten sich in der Vergangenheit Opfer von sexueller Gewalt zu Wort gemeldet, auch in Einrichtungen des Jesuitenordens. Erst 2010 fanden sie Gehör bei den Verantwortlichen. Ein innerer Reflexionsprozess wurde in Gang gesetzt, der in dem heute erscheinenden Sammelband von Beteiligten und Beobachtern dokumentiert wurde und in Zukunft weiter vorangetrieben wird. Der Missbrauchsskandal im Jesuitenorden lässt sich nicht abarbeiten oder abschließen, schon gar nicht einseitig. So ziehen die deutschen Jesuiten mit »Unheilige Macht« eine Zwischenbilanz der Missbrauchskrise in ihren Reihen.
In den Beiträgen kommen verschiedene Perspektiven zu Wort: Opfer und Betroffene, verantwortliche Führungskräfte, Praktiker und Fachleute aus Psychologie, Philosophie und Theologie. Die Ergebnisse dieser Analysen sind weit über den kirchlichen Bereich hinaus relevant für Menschen, die pädagogische Verantwortung tragen.
Die Herausgeber: Prof. Dr. Godehard Brüntrup ist Philosoph und Inhaber des Erich J. Lejeune Lehrstuhls an der Hochschule für Philosophie in München. Christian Herwartz ist Arbeiterpriester in Berlin-Kreuzberg. Hermann Kügler ist Pastoralpsychologe und Leiter der »Orientierung Leipzig«.
Bibliografie
Unheilige Macht – Der Jesuitenorden und die Missbrauchskrise
204 Seiten, kartoniert
ISBN 978-3-17-022503-9
Preis: EUR 22,90
Kohlhammerverlag